Dorfkirche Rerik (ehem. Alt Gaarz)
St. Johannes

Die St. Johanniskirche von Alt Gaarz wurde in der Übergangszeit von der Romanik zur Gotik errichtet, wohl um 1270, und hatte einen Vorgängerbau aus Feldstein.
Der Backsteinbau auf gequadertem Feldsteinfundament ist eine dreischiffige, zweijochige Hallenkirche mit quadratischem Chor von Mittelschiffsbreite und einem mächtigen Westturm mit achtseitigem Spitzhelm.
Die sichtlich ausgewogenen Proportionen verleihen der Kirche einen geschlossenen Eindruck, es sind jedoch Brüche in der Baulogik zu erkennen, die darauf hindeuten, dass die Planung während des Bauablaufes mehrfache Veränderungen erfahren hat.
Die hauptsächliche Verwendung von Backstein, vorwiegend im sogenannten Wendischen Verband - Wechsel von zwei Läufern und einem Binder -, deutet auf die damalige Bedeutung des Ortes hin.
Der Chor, als ältester Bauteil, weist mit seinen klaren, einfachen geometrischen Formen und der an der Südwand gelegenen rundbogigen Priesterpforte deutliche Merkmale der Romanik auf. Die original erhaltene gestaffelte, spitzbogige Dreifenstergruppe ist bereits gotisch.
Die Nordwand ist nach einem inzwischen abgerissenen Logenanbau (18.Jh.) fensterlos. Die Nordsakristei wurde durch eine Gruft ersetzt. Die Südfenster mussten nach dem Logeneinbau und der Aufstellung des großen barocken Altares vergrößert werden.
Der unveränderte Ostgiebel zeigt ein sogenanntes Deutsches Band, von dem er auch entlang der Dachschrägen gerahmt wird. Das große Blendenkreuz weist ebenfalls auf eine frühe Entstehung hin.
Im Inneren wird der Chor durch einen zugespitzten Triumphbogen vom Langhaus getrennt.
Gedeckt ist der Chor mit einem einfachen Kreuzgratgewölbe.
Das Langhaus entstand nur wenig später nach dem Chor. Die Lisenen geben gemeinsam mit den Fensterpaaren den beiden Längswänden einen bestimmten Rhythmus.
Die Ostwand wird zwischen den Lisenen durch einen Spitzbogenfries gespannt, auf den der Ostgiebel aufsetzt, der von zwei Treppenfriesen gerahmt wird und in einer Kreuzblende in der Spitze endet und eine Dreiblendengruppe einschließt.
Das Innere des Langhauses ist vom Typ her eine Westfälischen Halle: ein breites Hauptschiff wird von zwei schmalen Seitenschiffen flankiert. Die Gewölbebasen aller drei Schiffe liegen auf gleicher Höhe, wodurch sich die Halle von der Basilika unterscheidet, deren Hauptschiff die Seitenschiffe zumeist erheblich überragt. Der einfache, rechteckige Saalraum wird von zwei Domikalgewölben mit vier- bzw. achtstrahligen Rippen gedeckt und wird durch einen massiven, quergerichteten Gurtbogen und die längsgerichteten Scheidebögen getrennt. Die Gliederung des Raumes in Schiffe und Joche erfolgt durch die beiden Bündelpfeiler.
Gotisches Formengut wird bereits bewusst gegen die Romanik gesetzt.
Die Kirche steht somit genau an einem Wendepunkt: Romanisch will sie nicht mehr und gotisch kann sie noch nicht sein. Daher rechnet man ihre Entstehungszeit bereits in die Zeit von 1230-1250.
Der quadratische Westturm und die südliche Vorhalle sind Teile der Spätgotik.
Westwand mit Portal, Fenster und einfacher Blende.
Es ist denkbar, dass der bestehende Turm im 15. Jahrhundert einen Vorgängerbau ersetzt hat, wofür sein Feldsteinsockel spricht, dessen Struktur mit der des Langhauses identisch ist. Auch der achtseitige Turmhelm - die Bischofsmütze - erscheint bei fast allen Kirchen vergleichsweise spät.
Der Innenraum der Kirche wird durch die barocke Ausmalung geprägt, deren Vollständigkeit in Norddeutschland einmalig ist. Sie wurde 1668 von dem Wismarer Maler Hinrich Greve gefertigt und bei der Gesamtrestaurierung 1971-79 freigelegt und gesichert.
Zur Ausstattung gehören:
Tauffünte aus Gotländischem Kalkstein aus der Mitte des 13. Jahrhunderts,
Triumphkreuz (14.Jh.) mit typischen Evangelistenmedaillons,
Mittelschrein des ehemaligen Hauptaltares (15.Jh.),
Grabplatte v.Oertzen, v.Strahlendorf (nach 1465),
Reste der vorbarocken, mittelalterlichen Fresken,
barocker Hauptaltar, Aufsatz von 1754/55 mit architektonischem Aufbau,
Taufengel, Mitte 18. Jahrhundert (zeitgleich mit Altar),
Kanzel geringfügig älter, 1751/52, Besonderheit: vierteilige Kanzeluhr,
spätbarocker Orgelprospekt mit bereits klassizistische Tendenzen, 1780 entstanden,
Einbau einer Winzer-Orgel 1870, von Schuke 1973 erneuert,
barockes Beichtgestühl,
zahlreiche Patronatsemporen mit Wappen und Dekor,
Pastoren-Bild des Christian Liscow, 1668, wohl v. H.Greve,
Epitaph v.Bibow (nach 1684), Epitaph v.Plüskow (18.Jh.).
Im Turmraum hängt ein großes Tafelbild, darüber ein Wappenschild derer v. Negendanck. Desweiteren eine Gedenktafel für die Befreiungskriege und die vom Kriegerdenkmal entfernte Steintafel mit den Namen der im Ersten Weltkrieg aus dem Kirchspiel Gefallenen.
Am östlichen Ende des Kirchhofes steht das Mausoleum des Herrn Staatsrat Theodor Ernst Stever und seiner Ehefrau. Unmittelbar daneben befindet sich das Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, das aber anstelle der Namenstafel heute eine veränderte Aufschrift trägt.
Einige Meter von der Kirche entfernt (Leuchtturmstr. 7) befindet sich der alte Friedhof der Gemeinde. Dort steht eine kleine Friedhofskapelle aus rotem Backstein.

weiterführende Informationen:

Seinen heutigen Namen erhielt das idyllisch zwischen Salzhaff und der offenen Ostsee gelegene Ostseebad Rerik erst 1938 mit der Erhebung des Ortes zur Stadt. Aus dem Fischerdorf Alt Gaarz entstand die Stadt Rerik. Die Wahl des Namens gründete sich auf die damals irrige Annahme, dass am Salzhaff der vorgeschichtliche Hafenort "Reric" gelegen hätte. Der ursprüngliche Name Alt Gaarz weist vielmehr auf eine slawische Gründung hin. Wo nordwestlich der Kirche zur offenen See hin das Gelände rasch ansteigt, befand sich damals die Burg, welche die Durchfahrt von der See in das Salzhaff - Wustrow war einmal eine Insel, deren heutige Landverbindung erst geschaffen wurde, nachdem Alt Gaarz seine Bedeutung als Hafenort verloren hatte - bewachte.
Ende des 12. Jahrhunderts waren die Obotriten von Heinrich den Löwen unterworfen worden und deutsche Siedler kamen ins Land. Wie damals häufig praktiziert, ließen sich die deutschen Siedler in unmittelbarer Nachbarschaft des slawischen Dorfes nieder. Von ihrem Wirken zeugt noch heute die Kirche. Ihrem Erscheinungsbild nach gehört die Pfarrkirche in den Kreis der Dorfkirchen, sofern man sie tatsächlich jenen zurechnen will, nimmt sie unter ihnen aber eine Sonderstellung ein. In den Anfängen der kirchlichen Erschließung der eroberten slawischen Gebiete gab es die uns heute geläufige Unterscheidung in Dorf- und Stadtkirchen noch nicht. Die städtischen Pfarrkirchen waren häufig nichts anderes als vergrößerte Dorfkirchen, wie z.B. die Stadtkirche von Neubukow, die der Reriker Kirche architektonisch sehr nahe steht.

Quellen:
Dorfkirchen in Mecklenburg, Buch, Horst Ende, Evangelische Verlagsanstalt Berlin, 1975
Dorf- und Stadtkirchen Wismar-Schwerin, Buch, ZEBI u. START e.V., Edition Temmen, 2001
Die Pfarrkirche zu Rerik, Broschüre, Rolf Bullerjahn, DKV-Kunstführer Nr. 500/4, Dritte Auflage, Deutscher Kunstverlag GmbH München Berlin,

powered by webEdition CMS